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Die Politisierung des Menschen, die dem vorliegenden Buch seinen
Titel gibt, d.h. die kurz-, mittel- oder langfristig mehr oder
minder stabile Entstehung, Differenzierung und Veranderung der im
engen und weiten Sinne staatsbiirgerlichen Dimensionen
individueller Personlichkeit, umfaBt das komplizierte
Zusammenwirken von Faktoren der Psyche und der mittelbaren wie
unmittelbaren Umwelt. Seit etwa dreieinhalb Jahrzehnten hat es sich
allgemein durchgesetzt, diesen komplexen Vorgang als politische
Sozialisation zu bezeich- nen. Deren Erforschung hat sich in den
sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika als
wichtiger Schwerpunkt der breiten Palette der Sozialwissenschaften
etabliert. Auch in Deutschland ist seither in zunehmendem MaBe eine
Vielzahl von empirischen und theoretischen Studien entstanden, die
entweder ausdriicklich mit dem Begriff der politi- schen
Sozialisation operieren oder doch zumindest der Sache nach dem
darin ausgedriick- ten Problemfeld zuzurechnen sind. Die
Beschaftigung mit politi scher Sozialisation stoBt keineswegs nur
innerhalb der be- grenzten Zirkel der Sozialwissenschaften, sondern
auch in der Praxis der Politischen Bi/- dung und in der praktischen
Politik selbst auf Interesse. Insbesondere der Zusammenbruch
sozialistischer Systeme, aber auch bereits begonnene oder sich
abzeichnende Umbriiche in Landern des Westens, Veranderungen im
Gefiige entlegener Staaten sowie die Formation suprastaatlicher
Gebilde und die Neuordnung der internationalen Beziehungen haben
der Formulierung und Beantwortung von Fragen danach, auf welcher
Grundlage und mit wel- chen Ergebnissen sich Politisierung im
Rahmen individueller und kollektiver Lernprozesse ereignet,
entwickelt und umgestaltet, neue Aktualitat und eine gewisse
Dringlichkeit ver- liehen.
, Herausforderungen' und, Antworten' - diese Begriffe sind als di
daktische Schliisselkategorien zum Merkmal des didaktischen Den
kens von Wolfgang Hilligen geworden. So sehr sie heute Allgemein
platz geworden sind, - er seIber hat sie schon 1955 verwendet, um
die Moglichkeiten politischen Handelns in einer problematisch
geworde nen Welt aufzuzeigen. Eine Schrift, durch welche Freunde
und Kolle gen Wolfgang Hilligen zu seinem 75. Geburtstag im Mai
1991 ehren wollen, muJ3 diese Worte im Titel aufweisen, wenn sie
seinem Werk ge recht werden solI., Herausforderungen' sind die
krisenhaften Gefahrdungen der jewei ligen Gegenwart; mit dem
Begrift', Antworten' wird die Uberzeugung ausgedriickt, daB
Menschen die Kraft und die Fiihigkeit besitzen, die sen
Gefahrdungen zu begegnen und LOsungen zu finden, die ihnen ein
Uberleben und ein sinnvolles Leben ermoglichen. Es ist dies eine ge
schichtsphilosophische Grundiiberzeugung, die sich bei Wolfgang
Hilli gen gegen Endzeit-und Untergangspessimismus richtet und ein
MaO an Zuversicht ausstrahlt, das Jugendliche wie Erwachsene
ermutigen kann. Die, Antworten' sind im Sinne von Wolfgang Hilligen
nicht als bloB technokratische zu verstehen. Vielmehr miissen sie
nach seiner Uberzeugung von einem Bezug auf normative
Grundentscheidungen geleitet sein. Hilligen hat seine normative
Uberzeugungen in seinen, Optionen' formuliert; sie stellen den
Wertekern seiner Didaktik dar. Es sind die Optionen - ffir die
unbedingte Geltung personaler Menschenrechte, - llir die
Uberwindung struktureller sozialer Ungleichheiten, - fUr die
Notwendigkeit, Spielraum und Institutionen fUr Alterna- ven zu
schaffen und zu verbessern."
Die Entwicklung von Techniken und Technologien war im
geschichtlichen Verlauf im wesent lichen ein Ergebnis
gesellschaftlicher Prozesse und okonomischer Konstellationen. Die
sogenann ten Triumphe der Technik, gemeint sind die Ergebnisse der
angewandten Naturwissenschaften, haben zu allen Zeiten Hoffnungen
und Angste geweckt. Denn ihre Erscheinungen, Wesensgesetze und
Folgen sind nicht ohne ruckwirkenden Einfluss auf die
Differenzierung, Strukturierung und Dynamik geblieben, nationaler
Gesellschaften sowie der Weltgesellschaft insgesamt, mit teil weise
erheblichen Konsequenzen fur die Menschen als Individuen,
Mitglieder sozialer Zusam menhange und Gattungsangehorige. Wie und
wann immer Techniken und Technologien ent wickelt und begrundet
oder kritisiert werden: Alle Techniken haben es mit Menschen und
deren Umgang mit Apparaten zu tun. Uber Techniken werden immer auch
kulturelle Bedeutungsge halte in einem bestimmten Bezugs- und
Wirkungssystem vermittelt. Diese Zusammenhange sind in ihren
Auswirkungen und Details bis heute nur unzulanglich untersucht und
durchdacht wor den. Die sogenannte Moderne ist eine Phase des
Geschichtsprozesses, die bereits in ihren hauptsach lichen
Dimensionen ganz entscheidend vom technischen Umgang des Menschen
mit seiner ausse ren und inneren Natur, von der technologischen
Ausrichtung des Wirtschaftens und schliesslich von einer nicht
selten technokratischen Bewaltigung gesellschaftlicher Probleme mit
politischen und unpolitischen Instrumentarien gekennzeichnet ist.
Pragend fur diese Epoche waren uber lange Zeit eine allgemeine
Konsolidierung etablierter Technologien, eine schrittweise Moderni
sierung bewahrter Techniken und eine Ausdehnung des mit der
Technikentwicklung aufs engste verknupften
wissenschaftlich-zivilisatorischen Fortschritts."
Die Zahl der Veroeffentlichungen zur Didaktik der politischen
Bildung ist wahrend der zuruckliegenden Jahre durch etliche
Monographien, Sammelbande, Handbucher und Aufsatze in
Fachzeitschriften stetig vermehrt worden. Darunter befinden sich
auch mehrere systematisch angelegte Konzepte mit teilweise
differierenden fach- und erziehungswissenschaftliehen Grundlagen,
bildungspolitischen Absichten und padagogisch-praktischen
Zwecksetzungen von unterschiedlichem Argumentations- niveau. Die
darum gefuhrten Kontroversen sind lebhaft und teilweise bis heute
nicht abgeschlossen; ihre tatsachliche Einflussnahme auf die Praxis
der politischen Bil- dung ist kaum bekannt oder kalkulierbar. Wenn
nun mit dieser Schrift die -oft als verwirrend und wenig hilfreich
empfundene - Vielfalt der Publikationen noch er- weitert werden
soll, dann ist dafur eine Begrundung erforderlich. Gegenstand
dieser Arbeit ist eine Kritische Politikdidaktik. Es geht damit um
eine spezifische Variante wissenschaftlicher Arbeits-,
Argumentations- und Hand- lungszusammenhange, welche zwar wie alle
Wissenschaften kritisch verfahrt, aber in Abgrenzung von vielen
anderen Alternativen einer auf Sozialwissenschaften bezoge- nen
Fachdidaktik eine bestimmte - aufklarende und auf Besserung von
Praxis ab- zielende - Qualitat von Kritik zugrunde legt und zum
Programm erklart. Zur Vor- bereitung, Anregung und Exemplifikation
einer solchen Kritischen Politikdidaktik gibt es bislang mehrere
punktuelle Beitrage zu einzelnen theoretischen und prakti- schen
Problemen. Sie verdeutlichen in Umrissen ein gemeinsames Anliegen,
zeigen aber auch Nuancen, Interpretationsspielraume und Offenheit
fur weitere Entwick- lungen auf. Eine systematische Darlegung gibt
es in grosserem Umfang bis heute aber noch nicht.
1 H.-F. RATHENOW, Schwerpunkte der Methodenentscheidung im
politisch-gesellschaftlichen Unterricht, in: W. NORTHEMANN (Hrsg.),
Politisch-gesellschaftlicher Unterricht in der Bundesrepublik.
Curricularer Stand und Entwicklungstenden- zen, Opladen 1978, S.
69-77, hier S. 69. 2 K.G. FISCHER, Politische Bildung - Vehikel der
Emanzipa- tion? In: Neue Politische Literatur 20 (1975), S.
356-393, hier S. 376. 3 Auf FISCHER, a.a.O., durfte ein solcher
Verdacht allerdings nicht zutreffen, auch wenn er ein Beispiel fur
ein wenig kontroverses Methodik-Konzept anfuhrt. Denn die benannte
Arbeit von H. GIESECKE, Methodik des politischen Unter- richts, 5.
Aufl. Munchen 1978, ist u.a. deshalb relativ immunisiert, weil sie
aus dem von H. GIESECKE, Didaktik der politischen Bildung, 11.
Aufl. Munchen 1979, entfal- teten und andernorts erganzten Kontext
einer Kritischen Theorie der politischen Bildung streckenweise
herausfallt. 4 Die Meta-Methodik lasst sich auch als Methodologie
bezeichnen. 5 Das ist gewissermassen die Methodologie der Praxis.
Zur ge- nauen Attributierung der hier benutzen Interpretation des
Theorie-Praxis-Verhaltnisses vgl. B. CLAUSSEN, Kritische
Politikdidaktik. Skizzen zu einer padagogischen Theorie der Politik
fur die schulische und ausserschulische Bildungsar- beit, Opladen
1980, Abschnitt 2.2. 6 So C. WULF, Politische Bildung, in: C. WULF
(Hrsg. ), Woerter- buch der Erziehung, 2. Aufl. Munchen 1976, S.
449-456, hier S. 454 f.
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