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"Sexuell werden" vollzieht Prozesse und Praktiken nach, in denen
Menschen in spezifischen Geschlechterverhaltnissen ihre sexuelle
Erlebnis- und Handlungsfahigkeit und ihre Ausdrucksformen von
Geschlecht und Sexualitat entwickeln."
Von den Anfangen der Sozialwissenschaft bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts wurde menschliche Sexualitat als Trieb angesehen, der
je nach Mode sublimiert oder ausgelebt werden musse. Auch die
Frauen- und Geschlechterforschung blieb mit diesem Modell
konfrontiert, das die sexuelle Befreiung der Frau analog der des
Mannes versprach. Dass menschliche Sexualitat ausser einer
physischen Basis aber grundsatzlich einer kulturellen Grundlage
bedarf, wurde erst spater entdeckt. Diese Einsicht ist, auf die
Geschlechterdebatte angewendet, von einiger Sprengkraft: Wenn dort
die "Kategorie Geschlecht" und "die Geschlechterverhaltnisse"
dekonstruiert werden sollen, ware es notig, dies vornehmlich am
Naturmodell einer "freien" Sexualitat zu betreiben, die von Hoch-
bis Popular-Kultur den Geschlechtern kommerziell genormte Ideale
wie Tabubruche als Sex-Standards liefert.
Das Buch setzt hier an, indem es den heutigen Diskussionsstand
uber menschliche Sexualitat fur die Debatte des gesellschaftlichen
Geschlechterverhaltnisses sowohl bereitstellt wie einfordert.
"
Grundlage wie Vision der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung
ist eine "ge schlechtssensibilisierte" Sozialwissenschaft, die
"Geschlecht" als grundlegendes Struktunnoment von Gesellschaft
begreift. Nach mehr als zwanzig Jahren Frauenforschung scheint es,
dass sie diesem Ziel einen entscheidenden Schritt nahergekommen ist
- zumindest, was die Anerkennung ihrer innovatorischen Wirkungen
auf den Mainstream der Sozialwissenschaften betriffi. So schreibt
Gertmd Nunner-Winkler im Bericht "Sozialwissenschaftliche
Frauenforschung in der Bundesrepublik Deutschland" der
DFG-Senatskommission fiir Frauen forschung, "dass die Veranderung
in der Situation der Frauen ein Thema ist, das gegenwartig hohe
Kulturbedeutung (im Sinne Max Webers, d. Verf. ) hat. Die Thematik
ist auf vorherrschende kulturelle Leitideen (Gleichheit,
Emanzipation) bezogen, und sie ist Ursache weiterreichender
sozialstruktureller Veranderungen (wie etwa: Umstrukturierung der
Familien, Erhohung der Mobilitat, Destandar disierung des
Lebenslaufs). Etwas plakativ formuliert: Was die Bildungsdebatte
fur die Sozialwissenschaften der 60er Jahre bedeutete, das ist die
Frauen forschung fiir die 80er Jahre: ein Thema, an dem
politisch-emanzipatorische Motivation, ein Interesse an
technisch-verwertbarem Planungswissen, institu tionalisierte
politische Reformdebatten und spontane soziale Aktivitaten und
Bewegungen sich bundeln und Impulse fur die Sozialwissenschaften
ausstrahlen: neue empirische Forschungsfragen aufwerfen, neue
Anwendungsfelder fiir tra dierte theoretische Paradigmen eroffnen,
die Neuinterpretation tradierter Begrilf lichkeiten und die
Entwicklung neuer theoretischer Sichtweisen erzwingen . . . In den
offentlichen Auseinandersetzungen wurde das Wissen der Gesellschaft
uber sich selbst, uber die eigenen Praktiken, quasi auf den
neuesten Stand gebracht; Normen, Erwartungen und ideologische
Selbstdeutungen wurden Verande rungen, die sich bereits vollzogen
haben, angepasst. Zugleich aber hat die offentliche Debatte den
Prozess selbst nochmals weiter vorangetrieben. Analog . . ."
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