Die Geschichte scheint in unserer Zeit schneller abzulaufen als je zuvor. Der Mensch von heute ist sich dessen bewuBt, daB er in einer Kultur- periode lebt, in der sich sehr schnell neue Formen des Zusammenlebens, der Arbeit, des Gottesdienstes, der Erziehung, des Unterrichts und der Erholung entwickeln. Dieses BewuBtsein fuhrt viele Menschen zur Kritik an der jungsten Vergangenheit und llillt sie die historische Bedingtheit gegenwartiger Kulturformen erkennen. Das ist das Thema vieler, vor aHem sozialpadagogischer Schriften, in denen die Mitburger von heute ermahnt werden, sich urn eine wandlungsfahige geistige Aufgeschlossen- heit zu bemuhen und notfalls zu lernen, "mit Unsicherheiten zu leben. Die Sicherheiten von einst scheinen sich, zur Beunruhigung vieler Men- schen, zu verfluchtigen. Kunz (1957, S. 96) spricht in diesem Zusammen- hang von einer "Erweichung des Wirklichkeitscharakters der wesenhaften Wirklichkeiten. Es ist, so fahrt er fort, "als sei an die Stelle des Granits uberall ein beliebig bestimmbarer Brei getreten. Anderseits muB aber auch festgestellt werden, daB der Durchschnitts- mensch von heute ein sehr viel weniger krisenhaftes und mit Unsicherheit erfulltes Leben fuhrt, als eifrige Kulturpessimisten uns immer wieder glau- ben machen wollen.

Dies Buch soll in die Theorie des psychologischen Tests einftihren. Sowohl ftir Psychologen, die neue Tests entwerfen, als auch ftir solche, die in ihrer Higlichen Praxis Tests anwenden, ist die Vertrautheit mit den Begriffen der Testtheorie eine unerlaBliche Voraussetzung. Aber diese Einftihrung dtirfte auch ftir jene Leser aufschluBreich sein, die sich aus rein wissenschaftstheoretischem Interesse oder weil die Er- gebnisse psychologischer Untersuchungen auch in ihrem Beruf eine Rolle spielen, tiber die Theorie und tiber die Anwendungsmoglichkeiten psychologischer Test orientieren mochten. DaB tiber die psychologischen Tests viele falsche Vorstellungen verbreitet sind, die bald zu tibertriebenen Erwartungen, bald zu grundsatzlicher Ab- lehnung geftihrt haben, liegt einerseits an der ungentigenden Sachkennt- nis des Laien, anderseits aber auch an dem mangelnden Verantwortungs- bewuBtsein vieler Testbenutzer selbst, die einwandfreie Tests und unzu- verlassige, nicht validierte Tests unbedenklich durcheinander benutzen und so dazu beitragen, daB ein verschwommenes image der psycho- logischen Tests entsteht. Ich hoffe, daB die hier dargestellte Theorie des Testens zeigen wird, welche Ftille und welche Vielfalt von Problemen dabei bertihrt werden und zu welchen Fehlurteilen eine Simplifizierung dieser Probleme ftihren kann. Ich mochte den Leser davon tiberzeugen, daB es allein die wissen- schaftlichen Normen und die methodischen Forderungen sind, durch die sich eine verantwortliche psychologische Anwendung von Tests von der Scharlatanerie unterscheidet. In dieser EinfUhrung habe ich aus dem groBen Gebiet psychologischer Test- untersuchungen eine exemplarische Auswahl getroffen, in der ich die wich- tigsten und die am haufigsten vorkommenden Probleme bespreche.