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Seit Mitte der 50er Jahre hat die Vokabel Pluralismus in der deut
schen politischen Diskussion eine erstaunliche Karriere hinter sich
ge bracht. Wahrend der Begriff zuvor selbst in wissenschaftlichen
Fach kreisen kaum als gangige Miinze gehandelt wurde, ist das Wort
heute nahezu in aller Munde. Die gro zi.igige Verwendung beruht
allerdings keineswegs auf einer allgemein akzeptierten
Verstandigung dariiber, was mit der Vokabel konkret gemeint sei.
Unter den sehr unterschiedlichen Verwendungsmoglichkeiten sind vor
allem vier von besonderer Bedeutung. So kann der Begriff Plura
lismus zunachst einmal auf die Tatsache bezogen sein, da es in
einer Gesellschaft eine Vielzahl mehr oder weniger autonom
gebildeter, neben- und miteinander existierender, agierender,
kooperierender oder in Konkurrenz zueinander stehender Gruppen -
insbesondere Vereine, Interessenverbande und Parteien - gibt, deren
wechselseitige Bezie hungen und Einflu nahmen auf den politis chen
Proze von kenn zeichnender Bedeutung fiir das jeweilige
Gesellschaftssystem sind. Dies ware (1.) Pluralismus im Sinne einer
soziologischen Gruppen bzw. Verbandstheorie. Andere und erheblich
weitergehende Sach verhalte sind demgegeniiber dann gemeint, wenn
(2.) vom Plura lismus im Sinne einer politologischen Verfassungs-
und/oder Staats theorie die Rede if>t. Hier meint Pluralismus
ein gewaltenteilig - und moglicherweise zugleich foderativ -
strukturiertes Verfassungssystem, dessen politische
Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse ohne die konkurrierende
(und koalierende) Tatigkeit von Parteien und Interes sengruppen
nicht verstanden werden konnen, dessen Existenz auf der Garantie
und offenen Handhabung von Freiheitsrechten beruht und dessen
entscheidendes Charakteristikum die freie Entfaltung von
politischer Opposition darstellt."
Die 'Zeitschrift fur Parlamentsfragen' begleitet schon im 28.
Jahrgang die wissenschaftliche und offentliche Diskussion mit
Beitragen zu Parlamentarismus und Regierungssystem in der
Bundesrepublik und im internationalen Vergleich. Dieser Auswahlband
bietet dem Leser einen chronologisch angeordneten Einblick in die
Themenbereiche, die Autorenschaft und die verschiedenen
akzentuierten Schwerpunktsetzungen der Zeitschrift in den
vergangenen Jahren.
Seit den Zeiten der Feudalgesellschaft, in denen Montesquieu lebte
und dachte, hat die Gewaltenteilung grundlegende Anderungen
erfahren. Dies gilt insbesondere fur parlamentarische
Regierungssysteme, das Hinzutreten von Parteien und deren
Rollenwandel. Die vielfaltigen Wechselbeziehungen von
Gewaltenteilung und Parteien in der Gegenwart sind das zentrale
Thema dieses Buches."
Der Europaischen Gemeinschaft (EG) gehOren heute zwolf
MitgIiedstaaten an. AIle haben ein parlamentarisches
Regierungssystem. Ihnen ist folgIich gemeinsam, daB sie tiber eine
"doppelte Exekutive" verfiigen: ein Staatsoberhaupt und einen
Regierungschef -wobei allein der letztere vom politischen Vertrauen
der Parla mentsmehrheit abhangig ist. In einem parlamentarisehen
System muB eine Regie rung zurftcktreten, sobald ihr das politische
MiBtrauen des Parlaments formell oder tatsachlich bekundet wird.
Sie kann dann allenfalls noch vortibergehend als
geschiiftsfiihrende Regierung tatig sein. 1m parlamentarisehen
System stehen die MitgIieder der Regierung und die Mehrheit des
Parlaments -zumindest die Mehrheit derjenigen Kammer, deren
Abgeordnete vom Biirger als deren Reprasentanten direkt gewiihlt
werden -in ei nem politischen Abhangigkeitsverhiiltnis zueinander.
Diese Beziehung ist nieht, wie in prasidentiellen
Regierungssystemen tiblich, auf die Gesetzgebung und Fra gen
verfassungsrechtlicher Staatsanklage von RegierungsmitgIiedern
beschriinkt. Vielmehr erstreckt sie sich vor allem unter
politischen Interessen- oder Zweck miiBigkeitserwiigungen auf die
Amtswahrnehmung und Amtsdauer des Regie rungspersonals und dessen
Vorsitzenden bzw. "Chef'. Hierfiir stehen dem Parla ment
tiblicherweise die verfassungsrechtlich vorgesehenen Instrumente
des MiB trauens-und des Vertrauensvotums zur Verfiigung."
Parlamentarismus ohne Transparenz? Mit dem Begriff Transparenz ver-
bindet sich eine doppelte Fragestellung. Zum einen wird damit die
Frage nach der Durchsichtigkeit, Offenlegung und
Nachvollziehbarkeit der man- nigfachen Willensbildungs- und
Entscheidungsprozesse im politischen System aufgeworfen.
Transparenz in diesem Sinne bildet die Vorausset- zung fur die
Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit konkreter politischer
Entscheidungsablaufe. Zum anderen meint Transparenz Problem
bewusst- sein im Sinne analytisch-kritischer Offenlegung der
systemkennzeichnen- den Strukturen, Funktionszusammenhange und
Bewertungsmassstabe sowie deren Interpretationsmoeglichkeiten. In
diesem doppelten Verstand- nis der Nachvollziehbarkeit konkreter
Politik vermittels Offenlegung ge- gebener politischer Positionen
und der Durchschaubarkeit von Diskus- sions- und
Entscheidungsprozessen einerseits sowie der Problemerhellung durch
Offenlegung von Strukturen, Funktionszusammenhangen und kri-
tischen Bewertungsmassstaben andererseits wird im vorliegenden
Bande die Transparenzproblematik des Parlamentarismus aufgegriffen.
Des Parlamentarismus? Das Wort Parlamentarismus erscheint in der
ub- lichen Verwendungsart als eine zwar haufig angefuhrte, jedoch
wenig prazise, mit unterschiedlichen Bedeutungsinhalten verbundene
und offen- sichtlich dennoch generell schwer vermeidbare Formel der
politischen und politologischen Alltagssprache. Ohne nahere
Bestimmung bleibt der Terminus daher - und gleiches gilt fur so
wichtige Begriffe wie Demo- kratie, Gewaltenteilung, Pluralismus
oder Exekutive und Legislative usw. - vieldeutig und schillernd.
1) Johannes Agnoli/ Peter Briickner, Die Transformation der
Demokratie, Berlin 1967, S. 69. 2) Am schii.rfsten und zugleich am
nichtssagendsten Helmut Lindemann, Die U nfahigkeit zur Reform, in:
Gewerkschaftliche Monatshefte 20/1969, S. 357 ff. 3) So die Reform
der Fragestunde 1960 und die Einflihrung der Aktuellen Stunde 1965.
Vgl. Hans Trof3mann, Struktur und Arbeitsweise der Parla mente in
den beiden deutschen Republiken, in: Rheinischer Merkur vom
28.3.1969. 4) Deutscher Bundestag, AusschuB flir Wahlpriifung,
Immunitat und Geschafts ordnung, AusschuBdrucksache 10 vom 25. 6.
1959 (Entwiirfe von Carlo Schmid und Heinrich Ritzel); Deutscher
Bundestag, Abgeordneter Heinrich G. Ritzel, Entwurf
Geschiiftsordnung des Deutschen Bundestages vom Juli/ August 1961.
Vgl. dazu Ritzel, a.a.O., S. 77. 5) Deutscher Bundestag, 5.
Wahlperiode, Drucksache V/2479 (neu). 6) Siehe Drucksache V/4008
und V/4373, sowie die 225., die 240. und die 246. Sitzung. Vgl.
auch den Bericht der Kommission flir die Parlamentsreform der
Fraktion der SPD, in: Information der Sozialdemokratischen Fraktion
im Deutschen Bundestag, Tagesdienst 129 vom 26.2.1969. Die
Vorschlage der entsprechenden CDU/CSU-Kommission sind als Anhang
beigeheftet. Die Vorstellungen der Planungskommission des
Bundestagsprasidenten sind nur in Ausziigen bekannt. 7) V gl. auch
die Rede von Bundestagsprasident von Hassel in der 247. Sitzung vom
3. 7.1969. 8) Siehe Drucksachen V/2425, V/3965, V/4445, V/4514,
V/zu 4514, sowie die 246. Sitzung vom 2. 7. 1969, S. 13 729 ff. Die
Vorlagen V /3991 und V/3992 wurden im Plenum gar nicht behandelt."
Die vorliegende Arbeit wurde der Juristischen Fakultat der
Universitat Heidelberg im Fruhjahr 1967 als Dissertation
eingereicht. Ihre 'Doktorvater' waren die Profes- soren earl
Joachim Friedrich und Hermann Mosler. Fur die Drucklegung wurde sie
nochmals uberarbeitet, die Entwicklung bis Februar 1969
berucksichtigt. In der Zwischenzeit, in der sich eine weitere
Verzoegerung der Drucklegung leider nicht vermeiden liess, brachten
sowohl die Praxis des Parlamentsverfahrens als auch die Literatur
hieruber insbesondere in Deutschland eine Reihe bemerkenswerter
Neuerungen und Beitrage. So wunschenswert es an sich ware, ihnen im
Rahmen dieser Untersuchung noch Rechnung zu tragen, wird gleichwohl
darauf verzichtet, wobei ausser den damit verbundenen
drucktechnischen Schwierigkeiten die UEberlegung aus- schlaggebend
ist, dass eine Studie wie diese, mit einem in die Gegenwart
reichenden politischen Prozess befasst, notwendig in Kauf nehmen
muss, eine letztlich willkurliche zeitliche Grenze zu ziehen, weil
anders an einen Abschluss einer solchen Untersuchung gar nicht zu
denken ware. Die Arbeit gibt somit den Stand vom Winter 1968/69
wieder.
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