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Etwa 2/3 aller Missbildungen sind atiologisch bzw. pathoge- netisch nicht geklart, ein noch groesserer Prozentsatz wird erst autoptisch verifiziert: Unser gegenwartiger Wissens- stand uber die Haufigkeit und Interaktionen von Missbil- dungen ist unzureichend. Die Katastrophen von Hiro- shima und Nagasaki, die Thalidomid-und Seveso-Kata- strophe und zahlreiche kleinere "Unfalle" haben es nicht vermocht, unsere Aufmerksamkeit konsequent und vor al- lem kontinuierlich auf dieses Problem zu lenken. Dies ist angesichts der globalen Bedeutung nicht zuletzt fur die Zukunft unserer Species recht erstaunlich. Das seit 1841 luckenlos dokumentierte Obduktionsgut des Pathologischen Institutes der Universitat Heidelberg ist die umfangreichste auswertbare Sammlung von Sek- tionsfallen uberhaupt und bietet sich fur ein Spektrum von wissenschaftlichen Auswertungsfragen an, die uns auf an- deren Wegen mit den heute zur Verfugung stehenden Mit- teln verschlossen bleiben. Aussagekraft und Verallgemei- nerungsfahigkeit der Ergebnisse sind trotz aller Mangel und erhebungsbedingten Unzulanglichkeiten erstaunlich gross, setzt man diese in Parenthese zu tierexperimentel- len Ergebnissen. Nur korrekte Fragen ermoeglichen kor- rekte Antworten, so schwierig die Spanne zwischen Frage und Antwort auch sein mag. Sie wird durch unser metho- disches (hier: statistisches) Spektrum bestimmt; sie kann nur tastend uberbruckt werden .
Bei der Konzeption des Tumorzentrums Mannheim-Heidelberg geht man wie andernorts von der Idee aus, die klinischen und theoretischen Grund lagen der Krebsbehandlung zu koordinieren. Zentrales Anliegen dieser in terdisziplinaren Organisation ist es, durch eine Verlaufsdokumentation patientenbezogene Forschung zu ermoglichen. In der vorliegenden Studie soll dies am Beispiel des Lungenkrebses exemplarisch dargestellt werden. Als Grundsatz zur operativen Intervention gilt auch heute noch, da- wann immer moglich - eine chirurgische Resektion versucht werden soll. Von den zur Verfugung stehenden Therapieverfahren (Chirurgie, Radiolo gie und Chemotherapie) ist die operative Behandlung nicht nur die alteste (MACEwEN, Glasgow (1895); HEIDEN HAIN, Worms (1901) besonders aber EVARTS GRAHAM (1933) mit seiner ersten Pneumektomie), sondern auch heute noch immer die wirksamste. Wie die Erfahrung und auch diese Stu die zeigen, ist freilich eine endgultige Heilung bei allen behandelten Fallen nur selten moglich (5-10%), wahrend von den resezierten Patienten knapp 30% die Funfjahresgrenze erreichen. Indessen kann aber von echten Fort schritten auch in den Fallen gesprochen werden, in denen eine Funfjah resheilung nicht erzielt werden kann bzw. konnte. Voraussetzung fur die sen Erfolg sind Beobachtungen, nach denen bestimmte Formen von Begleiterkrankungen das Operationsrisiko erheblich steigern konnen. Ei nen positiven Effekt zeitigen zudem parenchymsparende Resektionsver fahren (wie z. B. die erweiterte Lobektomie). Auch die in kurzen Interval len erfolgende ambulante Uberwachung kann ihre Bedeutung haben. Daruber hinaus ergeben sich Hinweise, dass die Moglichkeiten einer Screeninguntersuchung (durch Sputumzytologie ) noch nicht vollstandig genutzt werden."
Die ersten Versuche einer halb- bzw. vollautomatisierten Dokumentation der Medizin reichen im deutschsprachigen Raum etwa zehn Jahre zuriick. Probleme der Gerate und technischen Ausstattung ("hard-ware") standen zunachst im Vordergrund. Es zeigte sich jedoch bald, daB die insge- heim erhoffte Patentl6sung der Dokumentationsfrage in- nerhalbder Medizin nicht erwartet werden konnte. FUr je- den Teilbereich zeichnete sich eine fachbezogene Problem- 16sung ab, welche jedoch das Instrumentarium und die be- griffiiche Ausstattung der klassischen Dokumentation Uber- forderte. Die damals noch in den Anfangen stehende Infor- matik schien diese methodische LUcke fUllen zu k6nnen. Das, was man heute als "angewandte Informatik" bezeichnen k6nnte, hatte damals seinen zukUnftigen Aufgabenbereich erhalten. Der hier vorgestellte Thesaurus der Medizin ist innerhalb einer gr6Beren Arbeitsgruppe entstanden. Er ist ein getreues Abbild dieser Entwicklung. - Aufgabe war zunachst, einen Schliissel fUr die Dokumentation in der Pathologie zu er- stellen. Es zeigte sich, daB dies ohne BerUcksichtigung der klinischen Disziplinen nur schwer zu bewerkstelligen war.
Noch heute stellt der patho-anatomische Gesamtbefund das mit Abstand sicherste Untersuchungsergebnis innerhalb der Medizin dar. Dieser hervorstechende Vorzug hat in der Vergangenheit viele Autoren sog. Obduktionsstatistiken ver- anlaBt, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen auf die (vermutete) Bevolkerung zu verallgemeinern. Die hieraus resuItierenden, bereits "klassisch" gewordenen Fehlschliisse haben zu einer umfangreichen Literatur AnlaB gegeben. Versteht man unter einer klinischen Diagnose eine arztliche Handlungsanleitung, welche mit einem moglichst groBen operationalen Inhalt auszustatten ist, so darf man feststelIen, daB diese Definition in der Regel der pathologischen Anatomie und dem hier angestrebten arztlichen Gesamturteil nicht gerecht wird. Und dies scheint der eigentliche Vorzug der patho-anatomischen Diagnostik: Die patho- anatomische Diagnose enthaIt ein Maximum an Information dessen, was man als Krankheitseinheit bezeichnen konnte. Die Relativierung geschieht nicht - wie am Krankenbett - durch den arztlichen Handlungsauftrag, sondern durch die retrospektive Gesamtschau und Synthese mit der klinischen Symptomatik. Eine fruchtbarere Informationsverdichtung ist im Augenblick in der Medizin nicht gegeben.
Unterzieht man sich dem heute noch muhevollen Versuch, im Rahmen einer sektions statistischen Vergleichsstudie neue methodische Ansatze zu gewinnen, so ist die Frage nach den Motiven zu einem solchen Schritt berechtigt. Im wesentlichen haben uns zwei Umstande zu dieser Studie ermutigt: 1. Unsere mangelnde Kenntnis uber moegliche Spatfolgen nach extremen Lebensbedingungen; 2. die offensichtlich begrenzte Aussagefahigkeit und ein- geschrankte Verallgemeinerungswurdigkeit statistischen Sektionsmateriales. Unter beiden Gesichtspunkten wurden in den letzten Jahren heftige wissenschaftliche Kontroversen ausgetragen. Jetzt scheint jedoch die wissenschaftliche Aktivitat in beiden Themenbereichen nahezu erloschen. Von dem Herrn Bundesminister fur Arbeit und Soziales wurde im Jahre 1969 der Abteilung fur Dokumentation, historische und soziale Pathologie (Prof. Dr. W. JACOB) am Pathologischen Institut der Universitat Heidelberg (Prof. Dr. W. DOERR) der Auftrag erteilt, mit seiner Unterstutzung ein groesseres Kollektiv von Sektionsgutach- ten ehemaliger Gefangener fremder Gewahrsamsmachte statistisch zu bearbeiten. Die Aktenunterlagen wurden von den Behoerden zentral gesammelt und uns zur Ver- fugung gestellt. Neben der Unterstutzung des Bundes- ministers fur Arbeit und Soziales wurde diese Studie vom Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermiss- ten-Angehoerigen Deutschlands e. V. (Wissenschaftlicher Beirat) ermoeglicht.
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